Outtakes 2022 (Alles muss raus!)

Yuki Kobayashi war der zweite Besitzer des Restaurants „Sushizanmai Honjin“ in Ebisu, einem beliebten Viertel in Tokio. Hohe Pacht, aber ideale Lage. Er hatte es von seinem Vater übernommen, der es ein paar Jahre nach dem zweiten Weltkrieg eröffnet hatte. In den 70ern war das „Sushizanmai Honjin“ schon in ganz Tokio ein Begriff, denn Yuki war nicht nur ein talentierter Koch, sondern ein ebenso begabter Geschäftsmann. Er vergrößerte, startete drei weitere Filialen in Tokio, eine weitere in Osaka, und die Geschäfte hätten nicht besser laufen können. In den 90ern schließlich wurde er älter und wollte sich zur Ruhe setzen und übergab nun wiederum an seinen Sohn Akira. Aber es kam die Wirtschaftskrise und das war auch im Sushi-Geschäft zu spüren, außerdem waren die jüngeren Japaner nicht mehr so sehr an den traditionellen Gerichten interessiert.

Akiras Einstieg stand also unter keinem guten Stern. Er war zwar ein noch talentierterer Koch als sein Vater, aber leider kein so begabter Geschäftmann, Zahlen waren einfach nicht sein Ding. Und sogar, wenn er ein brillanter Wirtschaftler gewesen wäre, wäre die Talfahrt nicht mehr aufzuhalten gewesen. Es brauchte eine neue Idee. Aber Akira hatte keine. Außerdem mochte er auch Sushi nicht wirklich. Fisch ja, er liebte Fisch, aber er hasste den Reis. Schon der Anblick brachte ihm Übelkeit. Deshalb aß er auch niemals sein eigenes Sushi. Abends, wenn die Gäste längst gegangen waren und er vor Hunger fast nicht mehr stehen konnte, weil er meist den Tag über nicht zum Essen kam, machte er sich aus den Resten des Fischs oft noch ein paar eigene Kreationen, allerdings ohne den Reis. Stattdessen wickelte er die Reste in Shiitake-Pilze, die er noch mehr liebte als Fisch und die er für einige Tage in einer Lake aus Sojasoße, Zitrone, Speisestärke und Weißweinessig eingelegt hatte, um sie noch besser formbar und stabiler zu machen.

Eines Abends musste er das Restaurant überraschend verlassen, stellte seine Kreationen in den Kühlschrank und durch ein Versehen, ein sehr glückliches Versehen muss man im Nachhinein sagen, servierte ein Kellner am nächsten Tag diese Kreationen einigen Gästen. Sie waren so begeistert, dass Akira seine Shiitake-Sushi-Röllchen auf die Speisekarte setze. Er taufte sie „Shiitake-Out“ und seitdem sind sie aus der japanischen Geschichte nicht mehr wegzudenken. Nebenbei rettete diese Idee auch das „Sushizanmai Honjin“, denn alle wollten die Shiitake-Outs probieren und jeder, wirklich jeder liebte sie. Wenn Sie einmal die echten Shiitake-Outs oder „Out-Takes“, wie man sie in Tokio gerne verkürzt nennt, genießen wollen, sollten Sie unbedingt eine der Filialen besuchen.

Outtakes 2021 (Alles muss raus!)

Wo die beiden Flüsse sich trafen lag eine kleine Stadt, wohin die Händler aus allen Richtungen kamen und ihre Waren feilboten. Es herrschte immer reges Treiben, sogar in den Wintermonaten. Dort gab es auch zwei talentierte Schneiderlein, ihre Namen waren Mjüll und Krszycz, die Woche für Woche ein neues Gewand nähten. Einer suchte die Stoffe aus, einer zeichnete die Schnittpläne, einer schnitt alles passend aus und einer nähte die Teile am Ende zusammen, bis die tollsten Kleider entstanden. Und der andere half auch immer ein bisschen mit. Jede Woche verkauften sie eines der Gewänder und konnten davon ein gutes Leben führen.

Die Stoffreste, die dabei Woche für Woche entstanden, sammelte Krszycz immer geflissentlich auf und bewahrte sie in einer riesigen metallenen Box über dem Kamin auf. Mjüll wusste nicht genau, warum, aber es störte ihn auch nicht. Eines Winters, kurz nach Weihnachten, war es besonders kalt. Die Straßen waren gefroren und der Schnee lag meterhoch in den Gassen. Da froren viele Bewohner bitterlich, weil auch das Feuerholz bald knapp wurde und es noch weit war bis zum Frühling. Vor allem die Kinder.

„Drei, zwei, eins. Auf geht’s!“, sagte da Krszycz zu Mjüll und holte die metallene Box hervor. „Heute nähen wir!“ Und obwohl es ihr freier Tag war, nähten die beiden Tag und Nacht alle Stoffreste zusammen. Die Kleider waren nicht so wie sie sie üblicherweise machten, aber sie waren dennoch schön, sie waren bunt und vor allem warm und es waren viele. Die schulterten sie sich nun auf und verteilten sie in der Stadt an alle, die froren.

Die Freue und Dankbarkeit war groß. Endlich musste keiner mehr frieren. Seit diesem Tag ist es Tradition in der Stadt, dass kurz nach Weihnachten alte Reste zu neuen Kleidern zusammengefügt werden, selbst wenn der Winter milde ist.

Outtakes 2020 (Alles muss raus!)

Er hatte alles durchsucht. Auf dem Dachboden, in der Küche, im Wohnzimmer. Überall, wo er gepuzzelt hatte. Das waren eine ganze Menge Orte, denn das Puzzle hatte 5.000 Teile. Er war immer wieder umgezogen. Fünftausend. Er hatte wochenlang daran gearbeitet. Nicht Stunden, Tage. Wochen. Vielleicht waren es sogar Monate. Ja, er erinnerte sich, er hatte begonnen, da saß er abends um acht noch da und das Tageslicht schien durchs Fenster. Jetzt war Winter. Monate später. Es waren Monate. Bis zur Tagesschau. Und dann Schluss. Bett, arbeiten und dann am nächsten Tag, pünktlich um 17 Uhr nach der Arbeit hat er weitergemacht. Teil für Teil. Jeden Tag drei Stunden, am Wochenende mehr. Erst die Ränder, das waren schon ein paar Tage, dann hat er alle Teile nach Farbflächen sortiert. Das Bild auf der Packung immer vor Augen. Die hellgrünen vom Gras, die dunkelgrünen, die graublauen vom Fluss, die so leicht zu verwechseln waren mit den grauen Stellen vom Fell des alten Esels. Die blauen vom Himmel und die vielen Weißtöne der Wolken. So lang, so so ewig lang hatte das gedauert. Dass er fast aufgeben wollte. Die Wiese hatte er irgendwann, dann den Zaun, den Fluss, den Esel. Die Berge. Den kleinen Teddy, der auf den Schultern des Esels saß. Aber schon früh fehlte ein Teil am Kopf des Esels. Das würde schon noch auftauchen, dachte er, bis zum Schuss eigentlich, vermutlich hatte er es falsch einsortiert.

Alles setze sich langsam zusammen, alle Teile zusammen ergaben ein wunderschönes Bild. Bergszene mit Esel und Teddy.

Und dann war er fertig. Und dieses eine Teil, dieses eine beschissene Teil fehlt immer noch. Es war nicht auf dem Dachboden, nicht in der Küche, nicht im Wohnzimmer, auch nicht in irgendeinem anderen Zimmer, auch nicht im Staubsaugerbeutel. Es war nirgends.

Nur ein einziges Teil fehlte. Und alles, Monate Arbeit, Sortieren, Suchen, Leiden, alles alles alles war völlig umsonst.

Outtakes 2019 (Teil 2) – Alles muss raus!

Der Ballon schwebt. Aber er hält seine Höhe nicht mehr, langsam sinken wir ab, wir können es fühlen. Wir wissen nicht, wann wir auf dem Boden landen.

Das Gas ist alle, wir können nicht mehr nachheizen. Wir wissen nicht, ob wir es noch weit genug schaffen. Letztes Jahr hat es länger gereicht. Sind wir etwa schwerer geworden?

Es hilft nichts, wir müssen Ballast abwerfen. Alles muss raus. Alles, was wir nicht mehr unbedingt brauchen.

Und es hilft. Wir können uns gerade noch so ins nächste Jahr retten.

Outtakes 2019 (Teil 1)

Es ist ja nicht so, dass wir nicht noch viel mehr zu sagen hätten als das, was wir in unseren Episoden veröffentlichen. Hinter den Kulissen passiert ja auch noch was. Streitigkeiten, Abstimmungsschwierigkeiten, Privatgespräche, Intrigen und schlechte Witze. Zum Beispiel. Hier ein paar Schnipsel aus dem Müllbehälter unserer Schneidemaschine. Eklektisch, aber trotzdem keine Kunst.