Hängegeranien, weil ich dich so liebe
Auf dem Heimweg, als die Stadt bereits in jenes feuchte Dämmerlicht sank, das dem Spätherbst eine gewisse Würde verleiht, fand er – nicht aus Zerstreutheit, sondern gleichsam als leiser Auftrag an sein fühlendes Vernunftwesen – Blumen auf dem Pflaster, einzeln, wie sorgsam hingelegt. Eine gelbe Rose zuerst: die nüchterne Freundschaft, dachte er, nicht ohne das säuerliche Aroma des Verdachts, den die Farbe im Herzen alter Geschichten führt. Dann eine Orchidee, schmal, von beinahe intellektueller Kälte; er fühlte sich gemustert und doch milde gelobt. Eine Iris lag weiter vorn, und mit ihr, wie aus dem Nichts, jenes nervöse Aufflackern des Schöpfergeistes, das ihn manchmal auf dem Heimweg überfiel. Schließlich eine Calla – reine Form, höfliche Faszination – und, wie ein Schatten am Rand der Empfindung, ein Stück Mohn, das in seiner weichen Schwärze etwas von Selbstverlorenheit versprach.
So geführt, ließ er die belebte Straße hinter sich. Ein Haselzweig lag quer über dem Pfad: Sehnsucht, ja; die Luft roch nach nassem Holz und nach dem Zufall, der gar keiner war. Er ging weiter, und als die Stadt ganz verstummt war, stand die Hütte – nicht romantisch, vielmehr zweckmäßig, doch in einer Würde, die das Nötige mit dem Schicksal verwechselte.
Dort wartete ein Mann, der im Halbdunkel die Ruhe einesjenigen trug, der seine Geschichten nicht eilig hat. Er bat den Ankömmling hinein, wärmte die Hände am gusseisernen Ofen und sagte ohne Prunk: Die Lotophagen. Und er erzählte – nicht schwärmerisch, sondern mit jener trockenen Humanität, die Unerhörtes erträglich macht – von Odysseus’ Männern, die den süßen Lotus kosteten, Vergessen fanden und das Heim vergaßen, ja, den Willen selbst, und wie schwer es sei, den Menschen aus der betäubenden Gnade der Gegenwart in die strenge Arbeit der Rückkehr zu heben. Der Zuhörer nickte, und während die Worte sich setzten wie Schnee, schob sich in sein Inneres die heitere Strenge einer Kornblume: Hoffnung, schlicht und blau.
Der Mann am Ofen lächelte, griff nach einer verkratzten Mandoline und sang, ohne falsche Scham, nur die Überschrift seines Liedes, die schon alles sagte: „Blau blüht der Enzian“. Die vier Silben standen im Raum wie ein blauer Hut auf grauem Mantel; und als er „blau blüht der Enzian“ wiederholte, sah der andere tatsächlich eine alpine Klarheit vor sich, Enzian als Bewunderung, vielleicht auch als Dank, und spürte in sich eine Bewegung, die weder Eitelkeit (Hortensie) noch Verschwiegenheit (Veilchen) war, sondern das still geneigte Wissen, dass ein Mensch, der die Sprache der Blumen beherrscht, auf eigene Weise schön ist.
Sie redeten nicht mehr viel. Das Feuer nahm die letzten Töne in sich auf; draußen stand der Wald. Als es Zeit wurde – und sie wussten beide, dass Zeit immer auch Urteil bedeutet – trat der Erzähler näher, hielt ihm eine kleine, unauffällige Edelweiß-Blüte hin. „Für die Treue“, sagte er, „für die Liebe.“ Dann, mit einem feinen, beinahe gelehrten Lächeln, drehte er die Blüte langsam kopfüber. „Und – du kennst die Regel – wenn eine Blume hängt, sagt sie das Gegenteil.“
So war es eine Blume und doch zwei Worte: Liebe, und, im sanften Senken, Abschied. Der Heimkehrer nahm sie, als nähme er eine Aufgabe an, und ging in den Wald hinaus, leicht beschwert, mild geklärt, während hinter ihm das kleine Haus die Wärme der Erinnerung sammelte wie eine Jasminhecke ihren Duft.
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