Der Urlaub hat mein Herz gebrochen

Man sah ihn zuletzt am Meer, irgendwo im südlichen Pazifik, vielleicht, in der Sonne, irgendwo, niemand weiß, wo genau. Notizbücher, verstreut auf dem Balkon, daneben eine leere Flasche. Seine Stimme, sonst verlässlich im Wochentakt im Netz zu hören, hatte sich verflüchtigt. Nur Rauschen, nur Wind, höchstens gelegentlich ein Husten.

Nach der Rückkehr, so erzählt man, irrte er durch seine Wohnung wie durch eine zu kleine Pension. Die Koffer standen noch halb ausgepackt im Flur, in den Taschen klebte der Sand. Er setzte sich an den Schreibtisch, der Laptop leuchtete auf, die Datei „Shownotes.docx“ sah aus wie seit Wochen, weiß, ein leeres blankes hell schreiendes Weiß.

Er schrieb nichts. Stattdessen starrte er auf die blinkende Linie, den einsamen Cursor, ungeduldig wie ein Hund, den man nicht mehr ausführt.

Die letzte Folge hatte er noch gewissenhaft betextet, das Patchwork aus Stimmen und Erinnerungen irgendwie eingefangen und in lange Sätze geschnürt und mit ein paar gedrehten Wörtern zugebunden, Schnüre gegen das Chaos, Schein gegen das Verschwinden. Aber jetzt, zurück im Alltag, hatte ihn etwas erwischt, das er nicht mehr einfangen und einschnüren, begreifen, analysieren, in Stücke schneiden und neu zusammenbauen, ja noch nicht einmal benennen konnte. Antriebslos stellte er alles Tun in Frage. Wie Lisa, die im Büro in ihren 600 E-Mails ertrank. Wie Thomas, der die schwedischen Seen gegen den Schreibtisch tauschte und daran fast zerbrach. Wie Elena, die an der Schule kollabierte. Nur gab es bei ihm keine Meetings, keine Schüler, keine Projektkrisen – sondern bloß diese Shownotes. Vorher eine lächerliche Kleinigkeit, jetzt die Besteigung eines Achttausenders.

In den folgenden Tagen zog er sich mehr und mehr zurück. Die Kaffeetassen vermehrten sich auf dem Tisch. Er blätterte durch alte Skripte, hörte sich selbst aus den Jahren davor, war sich fremd geworden, fremd wie ein einst fanatisch geliebter Kinohit aus einem anderen Jahrzehnt, der in ihm jetzt nichts als Langeweile hervorrief. Abends ging er durch die Straßen, sah die Lichter der Kioske, die Menschen im Halbdunkel, und dachte: „Es ist alles vorbei, bevor es begonnen hat.“

So sitzt er noch heute dort, im Zwischenraum zwischen Urlaub und Arbeit, zwischen Aufnahme und Veröffentlichung. Ein Podcaster, der vom Urlaub nicht zurückgefunden hat.

Siehe auch Episode 378

Wie so ein Urlaubstagebuch

Lieber Freund,

die Hoffnung, dass dich diese Flaschenpost vielleicht eines Tages wirklich erreicht, hilft. Ich fülle sie mit diesen Zeilen, die ich mit jener ruhigen Hand schreibe, die man hat, wenn man begriffen hat, dass das Meer keine Antwort gibt. Ich bin gestrandet auf dieser Insel, die aussieht wie die Zwischenzeit: Wochenende vor dem Urlaub, Wochenende nach dem Urlaub, nichts dazwischen offiziell, alles doch schon vorbei. Ich rede in Gedanken mit dir, so wie früher, wenn wir den Tag in feine Notizen zerschnitten haben, “Liebes Urlaubstagebuch” sagten, obwohl wir gar nicht im Urlaub waren.

Ich mache, um mich zu beruhigen, das, was man eben macht, bevor man aufbricht: Ich räume, ich werfe mit Steinen Kokosnüsse von den Bäumen, ich wasche so gut es geht. Eine Maschine habe ich nicht. Die Maschine würde mir vielleicht sagen, ob ich wieder ein Taschentuch in der Tasche vergessen habe; jetzt hätte ich ihn gern, diesen Eco-Modus für das Schicksal, bitte, 15 T-Shirts ohne Nachfüllen, und doch liegen die weißen Flocken auf dem Schwarz der Dinge wie leichter Schnee. Ich denke an die drei überreifen Bananen, die man zerdrückt mit Sojamilch und Ahornsirup und alles bei 180 Grad – Umluft, eine Stunde – zu etwas werden lässt, das hält. Auf dieser Insel gibt es Bananen, aber nichts, das hält.

Gestern fand ich, zwischen zwei Gedanken, einen Automaten. Er sprach mit österreichischem Akzent. Er spuckte Milchkakao aus und Bolognese, und für einen Moment glaubte ich an Zivilisation. Daneben ein Zigarettenladen ohne Menschen; man konnte dort eine Schweizer Vignette ziehen, aufgeklebt auf eine leere Schachtel, sorgfältig mit Tesafilm. Die Welt ist ein Provisorium, das sich selbst erklärt, wenn man nicht fragt.

Ich gehe manchmal an den Rand der Felsen, wo der Wind jedes Feuer sofort ausbläst. Schließe die Augen und träume. Eine Anna, achtzig, pfeift mich an aus einer anderen Stadt, sagt Wachssee, Kinderfinger, Verantwortung, und ich sehe, wie der Zorn in ihrer Stimme zusammenfällt, sobald ich “es tut mir leid” sage. Sie bekreuzigt mich zum heiligen Theodor, und für eine Minute sind wir beide recht und gerechtfertigt. So etwas wollte ich dir gerne erzählen, in einem Café vor einer kleinen italienischen Kirche, wo der Espresso wie schwarzes Gold die Kehle hinunterläuft und Gänsehaut macht. Hier gibt es nur lauwarmes Flusswasser in einer Flasche, die nach Blech schmeckt, und einmal ist sie mir aufgegangen wie eine Bierdose am Stausee im Sauerland. Ich habe Durchfall.

Ich schaue und warte auf ein Schiff. Ab zwei Booten ist es eine Regatta, sagte der Skipper am Lago Maggiore, und gewann. Ich stelle mir vor, wie du nickst. Wie du “ja” sagst, ohne zu widersprechen, obwohl du es willst. Im Freibad – das ich mir ebenfalls herbeiträume – gehören Pommes zu Chlor wie Bud Spencer zu Terence Hill, und Popcorn ist hier immer schon abgelaufen. Im Supermarkt meiner Erinnerung legt ein Rentner seine Weinflaschen quer aufs Band, und alles rollt, sanft, hilflos, wie hier auch die Tage rollen.

Nachts ist es zu heiß, um sich zuzudecken. Ich habe auch keine. Ich lege mich auf den Sand, wie sehr ich das Einmummeln brauche, um schlafen zu können. Ich rede dann mit dir in unserer Geheimsprache – Stückele Bickele, Bocolo – und es hilft für drei Atemzüge. Manchmal wünsche ich mir, jemand hielte eine Kreditkarte vor eine Tür, und wir dürften eintreten in einen menschenlosen Kiosk, in dem Auswege verkauft werden.

Schreib mir zurück, wenn diese Flasche dich findet. Erzähl mir, ob der Rhythmus sich noch ändert, ob man noch nach dem Weg fragt, ob man Karten wieder falten muss und sie Ehen stiften. Oder sag gar nichts. Ich höre dich ja trotzdem, wie in dem Lied Vienne von Barbara: eine Liebe, die man verpasst hat, ein Zug, der schon fort ist, und doch steht man noch da, sehr still, mit einem Koffer aus Luft.

Komm her, oder bleib, aber sprich mit mir.

Dein
Verlorener

Buckdate 25 (Teil 2)

Im zweiten Teil unseres Buckdates machen wir wieder ernst: Wir wühlen uns durch unsere eigene Ideen und Hörer:innenvorschläge für Episoden, die wir noch aufnehmen wollen oder eben nicht. Zwischen Mikrofon, Mindset und Mäandern entsteht eine ehrliche Bewertung von kleinen und großen Lebenszielen.

Welche Folgen sollen wir machen: Hier mit abstimmen!

 

Buckdate 25 (Teil 1)

In dieser Folge machen Esel und Teddy ernst: Sie wühlen sich durch eigene Ideen und Hörer:innenvorschläge für Epsioden, die sie noch aufnehmen wollen oder eben nicht. Zwischen Mikrofon, Mindset und Mäandern entsteht eine ehrliche Bewertung von kleinen und großen Lebenszielen.

Wir müssen das System übersteuern

Der Motor des Käfers röchelt. Jahrgang 1976, hellblau, Fellsitze. Das Getriebe klingt nach Wutanfall.
Esel ist ganz in seinem Element. Sonnenbrille auf, linkes Ohr flattert im Fahrtwind, der Huf liegt locker auf dem Gaspedal.

Neben ihm, auf dem Beifahrersitz: Teddy – die Stimme irgendwo zwischen Amtsarzt und Animateur auf Malle.
„Frage eins, Herr Esel: Was bedeutet es, wenn ein roter Pfeil auf einem Schild nach links zeigt, während ein schwarzer Pfeil zurückzeigt?“

Esel schnaubt. „Dass man besser rechts überholt, wenn der Gegenverkehr im Dunkeln umdreht.“

„Falsch!“, ruft Teddy – und der Käfer zuckt beleidigt.
„Das heißt: DU musst warten, wenn DU rot bist.“

„Ich bin nie rot!“, meckert Esel, während er in eine Kurve prescht. Rustikale Landschaft, lauter Apfelbäume.
Ein Apfel fällt vom Baum – auf einen Fasan. Der fliegt schockstarr vom Acker.

„Frage zwei!“, brüllt Teddy gegen das Geratter an.
„Wie lang muss man an einem Stoppschild halten?“

„Solange, bis du mit Lesen fertig bist!“, grinst Esel – und bremst. Ruckartig.
Der Käfer quietscht. Teddy fliegt fast durch die Windschutzscheibe.

„Alle Räder stehen still, weil das Stoppschild es so will“, murmelt Teddy verschnupft.

„Das gilt nicht für Hufe“, kontert Esel – und lässt den Motor aufheulen wie ein billiger Fön kurz vor der Explosion.

Und so geht es weiter, Frage um Frage – über Tunnel, Reifendruck und Schrittgeschwindigkeit.

Am Ende des Tages, als der Käfer mit letzter Kraft in eine Parklücke rollt, wo eigentlich gar keine ist, schaut Teddy seinen langjährigen Fahr-Aspiranten an und sagt:
„Du bist durchgefallen. Aber nur haarscharf. Und mit Stil.“

Esel schließt die Augen, lehnt sich zurück und murmelt:
„Ich fahr weiter, es gibt ja auch schlechtere.“

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